Während ich gerade die Traueranzeige für meine FB-Seite verfasse, liegt neben mir die druckfrische FotoEasy, in welcher ich zusammen mit Jörg Nicht als Social Media Experte befragt werde. Dabei ist mir dieses Thema in den letzten Monaten immer fremder geworden. Will man die Massen begeistern, muss man diese auch zufrieden stellen. Und so sehe ich ausdruckslose, geschminkte Models mit tiefen Ausschnitten und großer Retrobrille (wahlweise mit silbernem oder goldenem Rahmen), die mit mehreren Lichterketten eingewickelt vor einer Berglandschaft im Nebel sitzen und nur darauf warten, dass jemand sie “likt”. Unter dem Bild steht dann meistens ein tiefsinniger Spruch über Freiheit und Natur, immer gefolgt von einer Frage für die Zuschauer, um die Interaktion zu erhöhen. Was man schon seit Jahren aus dem Privatfernsehen kennt (Manuel Neuer ist a) ein Fußballer b) eine Torte?), gehört mittlerweile zu jedem “guten” Instagrambild.

Aber immer öfter ist die Fotografie nur Mittel zum Zweck – teilweise mit erschreckender Perfektion. Sie ist wie ein schöner Popsong, den mag anfangs mag, mit der Zeit aber feststellt, dass er genauso klingt wie alle anderen, die einem nach und nach auf Spotify vorgeschlagen werden. Neue Dinge auszuprobieren wird in der Regel abgestraft, wohingegen vertraute Dinge immer wieder auftauchen wie Wespen im Sommer, sobald man den Grill angeworfen hat. Natürlich kann man Helene Fischer jedes Jahr 8 von 10 Echos verleihen, aber verpasst man so nicht die Chance die Welt ein bisschen bunter zu machen? Immerhin gibt es seit diesem Jahr den ersten orangenen Präsidenten. But that’s a different story, I guess.
Als ich damals mit der Fotografie angefangen habe, war ich ziemlich naiv und mit mir mein ganzes Umfeld. Es ging nicht primär um Erfolg, sondern darum neue Dinge auszuprobieren, sich auszutauschen und ein Stück voran zu kommen. Schaut man sich die neue Generation an, wird perfekt kopiert was funktioniert. Bots liken automatisch Bilder der Zielgruppe und folgen und entfolgen nachts anderen Accounts, immer in der Hoffnung, dass am nächsten Morgen wieder neue Follower auf der Matte stehen. In großen Gruppen pusht man sich durch gemeinsame Kommentarorgien, um im Algorithmus nach oben zu kommen. Niemanden stört es, dass sich alles wiederholt: Die Motive, die Bearbeitung, selbst die Sprüche unter den Bildern. Alles was zählt ist der Erfolg.

Auch in der Portraitszene sehe ich zu viele gescheiterte Regisseure, die nun Pornos drehen und versuchen es als Kunst zu verkaufen. Irgendwann beginnen sie durch die vielen Kommentare und Herzen selbst zu glauben, dass ihre Entwicklung doch ein Schritt nach vorne war. Aber eine nackte Wasserstoffperoxoid-Blondine, die sich lustvoll bei Gegenlicht in einem Pepsi-Shirt vor der Kamera räkelt, passt wohl einfach zu gut in diese Welt und ihren Zeitgeist, in der Gangstarap ganz oben in den Charts steht und Blumentöpfe sich aus dem Rampenlicht verabschieden. Seine Ohren kann man leider nicht zuklappen, wenn Kollegah wieder durch ein altes Samsunghandy in einem Hamburger Bus scheppert, aber zumindest seine Augen schließen. Dann träume ich mich in eine Welt, in der die Menschen Lichterketten an ihren Fenstern und Tannenbäumen belassen und sich Mario Barth nur im Olympiastadion aufhält, um nach den Spielen den Müll wegzuräumen … zumindest solange bis meine Haltestelle kommt.

Und schon befinde ich mich wieder zurück in der Zukunft und im Jahr 2017. Ich bin sicher, dass die meisten da draußen große Pläne haben, großartige Shootings in Aussicht und man sicher gespannt sein darf was da noch so Großes kommt. Ich für meinen Teil sehe mich mitten in einer fremden Stadt mit aufgebrauchtem Datenvolumen. Googlemaps gibt mir nur alle 10 Minuten eine Richtungsangabe vor, an der ich mich so gut es geht orientiere und hoffe, dass ich den Weg schon irgendwie finden werde. Aber ganz egal wo ich auch stehen bleibe. Überall schreien sie “Free the nipple” während ich hier alleine “Free the face” rufe und durch meine Kopfhörer “Bettina, pack deine Brüste ein” erklingt. Irgendwo schmelzen weiterhin Gletscher vor sich hin, und zeitgleich finden sich immer weniger Bilder, die nicht mit Photoshop verflüssigt wurden.

Ich werde trotzdem weiter machen und meine Kamera nicht aus der Hand legen. Ganz egal was ich in Zukunft auch fotografieren werde (keine Flugzeuge, soviel sei gesagt). Schließlich gibt es da draußen noch so viel zu entdecken. Vielleicht ist es auch an der Zeit meine Fühler ein Stück aus den Social-Media-Kanälen dieser Welt zurück ziehen und diesem Blog wieder ein bisschen mehr Aufmerksamkeit zu widmen (unabhängig davon, ob das hier jemand liest oder nicht). Eines Tages werden Sie vielleicht diese Fotos in einer Kiste auf einem Dachstuhl finden und ganz verwundert sein, dass die Menschen damals Kleidung anhatten. Was Vivian Maier geschafft hat, bekomme ich auch noch hin. Aber vielleicht hat 2017 auch etwas anderes mit mir vor. Wir werden sehen.