Nach einem nie enden wollenden Sommer stehe ich nun in einem Farbenmeer aus Blättern. Die Wespen und Vespas sind mittlerweile genauso von der Bildfläche verschwunden wie Dieter Bohlen‘s Pullover mit der Aufschrift „Be one with the Ocean“, große Teile des Hambacher Forstes oder zuletzt Meyer Optik Görlitz.
Mit diesem Jahr geht es schneller zu Ende, als mir lieb ist. Gleiches gilt für unseren geliebten blauen Planeten. Wer also noch einmal Eisberge in Grönland bestaunen will, sollte sich beeilen. Die Tatsache, dass der Flug dorthin die ganze Misere sogar beschleunigen dürfte, kehren wir lieber schnell unter den Klimateppich.

Sony A7 R3 – Sony 55 mm 1,8 | @mademoments_

Würde um mein Handgelenk ein Motivationsbracelet baumeln (am besten mit 2.5 Exklusiv Content), hätte ich meine Speicherkarten schon längst mit euphorischen Zunge-Raus-und-Peace-Zeichen-Selfies für den super persönlichen, endlich authentischen und deshalb mittlerweile obligatorischen Instagram-Zweitaccount geflutet. Ohne dieses Accessoire hält sich meine Begeisterung für diese Art der Selbstdarstellung aber in Grenzen und so muss ich mir langsam eingestehen, dass nicht nur Julia das Zeug zur Modebloggerin fehlt. Zum Glück gibt es ja noch genug andere Wege, die man einschlagen kann – manchmal sogar abseits der viel betretenen Pfade.

DJI Mavic 2 Pro

Wer will, kann sein Geld zum Beispiel in Silikonbrüste investieren, sich anschließend nackt am Strand ablichten lassen und mit dem Pornonamen schlechthin die Massen begeistern. Und niemand verbietet es einem immer wieder die gleichen Spots anzusteuern, nur um dort mit einer Packung lila Schokolade im Rucksack das große Abenteuer anzupreisen, das sich genau fünf Minuten vom Parkplatz entfernt abspielen soll. Es spricht auch nichts dagegen sich selbst den Stempel “not an influencer” auf die Stirn zu schreiben und Detox-Tee zu verteufeln, während man gleichzeitig in jedem zweiten Post Staubsauger, Schuhe oder Smartwatches mit dem Hashtag #werbung anpreist.

Sony A7 R3 – Sigma 135 mm 1,8 ART | @marillamuriel

Und wer wollte nicht schon einmal lasziv eine Nivea-Creme aus seiner Umhängetasche ziehen oder mit einem großen schwarzen Fernsehrahmen durch die Gegend marschieren, um damit Fotos zu machen? Schließlich sind wir am Ende alle auf der Suche nach der perfekten Realität und damit durchschaubar wie Plexiglas, um einen Hamburger Hip-Hop-Dinosaurier zu zitieren. Doch 1996 ist lange her und vieles hat sich seitdem verändert.

Sony A7 R3 – Sony 16 – 35mm 4,0 | @flopunktwe

Inzwischen verliebt sich alle 11 Minuten ein Millenial in eines der über 150.000 Bilder des Pragser Wildsees und wird als Folge dessen eines Morgens mit einem roten Kungfu-Stirnband (#miteigenenAugensogesehen) auch über die Absperrung des Bootsteges klettern und sein Level-30-Instamon einfangen. Mit etwas Glück geht es  am Ende sogar viral, sodass man selbst Skillshare-Rabattcodes an seine Follower verteilen kann. Inwiefern dies alles Gift für die eigene Kreativität ist, vermag ich gar nicht zu sagen. Aber solange sich die Berge im Abendlicht reflektieren, wird am nächsten Morgen immer jemand versuchen dein Fernweh zu wecken – in der Regel eine Männerstimme wie Kwerfeldein neulich anmerkte.

Sony A7 R3 – Sony 55 mm 1,8 | @christopherklaus

Noch bin ich zu müde, um schlafen zu gehen. Zu groß ist die Angst den viel zu kurzen Herbst aus den Augen zu verlieren und mit dem Winter aufzuwachen. Solange wir die Zeit nicht anhalten können, geht es rastlos weiter. Aber Bewegung tut gut, denn zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit gibt es mehr dicke als dünne Menschen.  Und so tragen mich meine Füße weiter über rote, gelbe und grüne Blätter, während der Rest da draußen den nächsten ultimativen, kostenlosen Guide veröffentlicht, um die Klickzahlen und conversion rates ihrer Blogs und YouTube-Kanäle zum nächsten Höhenflug zu führen.

Sony A7 R3 – Sony 55 mm 1,8 | @millennialdaniel

So viele streikende Ryanair-Piloten kann es gar nicht geben wie Artikel zum Thema “Richtig durchstarten”. Aber wie soll man je irgendwo ankommen, wenn man nirgends landet. Dabei braucht es zum Glücklichsein viel weniger als man denkt. Manchmal reicht für dieses Leuchten in den Augen ein Dach mit Aussicht, die richtige Gesellschaft und etwas goldene Herbstsonne am Horizont.