Schon wieder ist es Anfang Dezember und das letzte Stück der 4-Jahreszeiten-Pizza liegt nun kalt auf meinem Teller – zu allem Unglück sind auch noch Pilze drauf. Draußen plätschert der Regen an die Fensterscheibe. Oder sind es doch nur die Einschlafgeräusche der Alexa-App, die durch die Lautsprecher meiner Anlage erklingen? Ein kurzer Blick auf die Nachrichtenseiten im Netz zeigt die immer gleiche Mischung aus Geschichten über die Trumpeltiere dieser Welt, Clickbaits und Werbung, in die ich mich nicht weiter verstricken will. Auf Facebook suchen die üblichen Verdächtigen bezahlbare Altbauwohnungen in deutschen Großstädten – nicht für sich, sondern für die Freundin einer Freundin oder das letzte Tinder-Date.
Viele meiner Freunde, welche ich noch beim Namen kenne, habe ich hingegen schon so lange nicht mehr gesehen, dass ich nicht einmal mehr weiß, ob ich sie überhaupt noch so nennen sollte. Die Facebook-Ad bietet mir an einen Fotokurs über Smartphone-Fotografie in Hamburg zu besuchen. Für 500 Euro könnte ich dann endlich lernen wie man als Influencer richtig durchstarten kann. Dass die Referentin selbst nicht fotografieren kann, scheint wohl niemanden zu stören. Ab und zu besuche ich noch das Grab meiner Facebook-Seite, gieße die Blumen und entferne das Unkraut. Nicht mehr lange, und auch mein Instagram-Account wird hier irgendwo auf dem Gelände seinen Frieden finden. Mal schauen, vielleicht spiele ich zum Abschied noch ein Lied auf meiner Winterblues-Gitarre.

Die ersten Kartons sind bereits gepackt. Und ja, ein bisschen Angst habe ich vor dem Auszug aus meiner Social-Media-WG. Schließlich gab es so viele wunderbare Momente, die ich hier erleben und mit Menschen teilen durfte, die ich anderswo niemals kennen gelernt hätte. Aber jedem Ende folgt ein Neuanfang und so scheint diese (neu gestaltete) Seite wohl mein zukünftiges Zuhause zu sein. Vielleicht sind die Wände noch etwas kahl und das ein oder andere Möbelstück fehlt – aber was nicht ist, kann ja noch werden.  Doch im Gegensatz zu einer Mietwohnung, wo die Nachbarn ständig mitten in der Nacht laute Stories posten oder den Mülleimer mit Produktkartons von Holzkern-Uhren verstopfen, kann man hier im Garten endlich einmal richtig entspannen und die letzten Monate Revue passieren lassen. Wie Regentropfen prasseln die Erinnerungen auf mich ein, wenn ich zurückblicke – und es fällt es mir genauso schwer sie zu greifen.

2017 war definitiv ein spannendes Jahr. Natürlich habe ich nicht einmal die Hälfte jener Ziele erreicht, die ich mir vorgenommen hatte – dafür andere, welche nicht einmal auf meiner Liste standen. Ich spazierte mit Happy Socks an meinen Füßen und einem neuen Sony-Handy in meiner Hand durch die Straßen von Barcelona, wo ich einmal die warme Influencer-Luft schnuppern durfte, bevor es wieder ins kühle Hamburg zurück ging. Anfang des Jahres startete ich darüber hinaus zum ersten Mal eine Drohne (in einer 1-Zimmer-Wohnung) und musste mich wenig später selbst verarzten. Vom Kauf einer solchen hat es mich glücklicherweise nicht abgehalten und so bekam ich dank dieser Entscheidung einige Zeit später Post aus Kalifornien und mit ihr mein erstes (und wahrscheinlich letztes) Instagram-Feature. Wenig später stand ich dann selbst im sunshine-Staat und bereiste zum ersten Mal die USA. Auch die Berge (Berchtesgaden, die Schweiz, Österreich und Italien) und das Meer (Madeira) fanden sich dieses Jahr auf meiner Reiseliste wieder.

Da fällt mir ein, wo wir gerade bei Kalifornien waren, dass mich die Firma mit dem Apfellogo dieses Jahr angeschrieben und sich erkundigt hat, ob ich Interesse hätte einen Workshop in ihrem Berliner Store zu halten. Dass ich dieses Angebot am Ende abgelehnt habe, hatte diverse Gründe. Die Angst in Berlin Mitte von schwäbischen Hipstern entführt und in einen Keller mit Club Mate und Kumpir eingesperrt zu werden, war aber sicherlich der ausschlaggebende. Ohne Media Kit kann man sich in der Hauptstadt ja leider nicht mehr auf die Straße trauen, und da ich so etwas nicht besitze, bin ich erst gar nicht in den Zug Richtung Osten eingestiegen.
Ich stand dieses Jahr zudem auf der Shortlist einer Fernsehshow, in der es darum geht mit anderen Mitstreitern fotografische Aufgaben in ganz Europa zu bewältigen. Aber bevor man als Arzt sechs Wochen Sonderurlaub genehmigt bekommt, treten eher Kim Jong-un und Florian Silbereisen im Vatikan vor den Traualtar. So musste auch ich lernen, dass nicht jeder Weg, der sich einem auftut, am Ende auch begehbar ist – schon gar nicht barfuß und auf Zehen. Nun kann ich nur hoffen, dass sich eines Tages wieder eine neue Tür öffnet, die vielleicht die richtige für mich ist.

Bis es soweit ist, werde ich aber nicht wie viele anderen nun anfangen die Hochzeitskuh zu melken und die Seite in Kameraflimmern oder Herzlichtinfarkt umbenennen, nur um dann für möglichst viel Geld meine ärztlichen Kollegen an ihrem besonderen Tag abzulichten. Auch mein Traum in Bitcoins zu baden, wird weiterhin nicht durch den Verkauf von Presets in die Tat umgesetzt. Während andere morgens Flugzeugen beim Starten zusehen, um diese dann mit Objektiven zu fotografieren, die mehr wert sind als meine Nieren, bleibe ich lieber im Bett liegen und male mir aus was das nächste Jahr für mich bereit halten könnte.
Vielleicht kaufe ich mir endlich eine neue Kamera, auf die ich schon eine ganze Weile spare. Ich hoffe wieder mehr Zeit für Portraits zu finden und meine bescheidenen Bildbearbeitungskenntnisse ausbauen zu können. So viele Länder, die ich noch bereisen will. So viele Menschen, die ich noch kennen lernen will. So viele Ideen und so wenig Zeit.
Wahrscheinlich ist es vor allem dem Zufall geschuldet, wohin mich meine Beine 2018 tragen werden. Und sollten sie am Ende auf der Couch liegen bleiben, warte ich hier gemeinsam mit ihnen und der Katze auf die 3. Staffel von Stranger Things.